Berlin. Im dritten Anlauf ist FDP-Chef Guido Westerwelle auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Auch wenn er sich bedeckt hält: Er wird wohl neuer Außenminister. Allerdings scheint es mit seinem Englisch zu hapern. Auf eine englische Frage wollte Westerwelle partout eine deutsche Antwort geben.
Am Tag danach kann der Kanzlerin-Macher noch immer vor Glückseligkeit kaum laufen; auch wenn er sich schon mal in der getragenen Pose des künftigen Staatsmannes versucht.
Erster Akt: Deutschland, sagt Guido Westerwelle, soll im Laufe der kommenden vier Jahre frei von amerikanischen Atomwaffen werden. Vorher muss er noch Außenminister werden. Und Barack Obama überzeugen.
Von einem Außenminister Westerwelle ist kein Kurswechsel in Dauerstreitthemen wie Afghanistan, Israel, Iran oder Europa zu erwarten. Auch hier muss der Neue an Angela Merkels Seite erst Alltagsluft schnuppern. Und lernen. Als ein Redakteur des Londoner Senders BBC ihn gestern um eine Antwort in Englisch bat, lehnte Westerwelle verdruckst höflich ab. Da fängt einer klein an. Getreu seiner Losung nach dem Wahlerfolg der FDP. „Wir freuen uns, aber wir heben nicht ab.“
Hier geht’s zum Youtube-Video: Westerwelle: In Deutschland spricht man deutsch!
Westerwelle als demütiger Volksvertreter
Man muss seinen politischen Lebenslauf mitdenken, um das Triumphgefühl zu ermessen, das den 47-Jährigen am Sonntagabend erfasst haben muss. Und das er auch gestern so aufwändig unter der Fassade des demütigen Volksvertreters zu verbergen suchte.
Seit seiner Wahl zum Generalsekretär der Liberalen unter Klaus Kinkel 1994 hat der gelernte Rechtsanwalt als Projektionsfläche für so ziemlich alle unschönen Klischees gedient, die Politik zu bieten hat. Jungliberalen-Schnösel zu Kohlschen Zeiten. Dampfplaudernder Spaßpolitiker, der sich nicht zu blöd war, Wahlkampf im „Big Brother“-Fernsehzirkus zu machen. Außenminister im Ewig-Wartestand, der schrillen Anspruch (Schuhsohlen-Projekt 18 Prozent . . .) und triste Wirklichkeit (Finanzschieber Möllemann nebst Folgen . . .) nicht in Deckung bringen konnte.
Als Möllemann 2003 seinem Leben per Fallschirmsprung ein Ende setzte, war auch Westerwelle, der nach der Trennung der Eltern mit drei Brüdern beim Vater in Bonn aufwuchs, dem Boden nahe. Erst 2006, als der leidenschaftliche Sammler frischer Gegenwartskunst – von Tim Eitel bis Norbert Bisky – Wolfgang Gerhardt als Vorsitzenden der Bundestagsfraktion ablöste, schlug das Pendel um.
Mit der FDP ging es steil bergauf
Seither ging es mit der FDP immer steiler bergauf. Und Westerwelle modellierte sich zum ernsthaften Außensachverständigen, reiste nach Moskau und anderswo, ging bei Ziehvater und Alt-Außenminister Hans-Dietrich Genscher in die diplomatische Lehre, feilte an seinem Englisch, hielt Grundsatzreden vor der ehrwürdigen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und warf in Hintergrundgesprächen zuweilen die Frage auf, ob seine offen praktizierte homosexuelle Orientierung womöglich dereinst diplomatische Kabale auslösen würde, etwa in muslimischen Ländern.
Am Sonntagabend hat Guido Westerwelle, nunmehr im achten Jahr am Führungsrad einer Partei, die seit 2001 in 60 von 67 Wahlen teils beträchtlich zulegen konnte, seinen persönlichen 8000er erklommen: 14,6 Prozent! Die neidisch-bärbeißige CSU mit ihrem Vorsitzenden Seehofer deklassiert! Feste Größe im Koalitionsboot mit der Union!
Denker und Lenker einer mit 93 Abgeordneten rekordträchtig großen Fraktion! Designierter Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt!
Beim dritten Anlauf auf dem Höhepunkt seiner Macht
Westerwelles Pokerstil – alles unbeirrt auf eine Karte zu setzen: Angela Merkel – ist aufgegangen. Eine Strategie, die Respekt abnötigt, musste sich der lange als kühler Allesalleinentscheider geltende Jurist doch manche Spitze aus den eigenen Reihen gefallen lassen. „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibts einen, der alles regelt – und das bin ich“, hatte er mal büttenrednerhaft getönt. Was wäre wohl geschehen, wenn Westerwelle auch beim dritten Anlauf als Spitzenkandidat nach 2002 und 2005 für die FDP wieder nur die Oppositionsbank errungen hätte? Perdu!
Ab heute wartet auf den zum Teamspieler gereiften Partei- und Fraktionschef, der seinen Bonner Direktwahlkreis mit 19 Prozent der Erststimmen verfehlte, ein delikates Balance-Spiel. Die FDP steht bei ihren Wählern nicht nur mit dem Versprechen von opulenten Nachlässen und der Stärkung von Bürgerrechten im Wort. Ein Schlüsselsatz, an dem man ihn messen wird, lautet: „Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht ein neues, faires Steuersystem verankert ist.“ Ein Thema, das mit der Union so nicht oder nicht so bald zu haben sein wird. „Erwartungs-Management nach innen“, sagen Vertraute, wird darum zunächst die wichtigste Aufgabe des Vorsitzenden sein.