Künstler haben das Atelierhaus 19/21 in der Essener Nordstadt bezogen, die sich immer mehr zum Kreativviertel mausert.
Essen.
Scheinwerfer, eine helle Hintergrundwand, ein paar Kaffeetassen auf einem Beistelltisch in der Ecke – noch befindet sich nur das Nötigste in dem kleinen Atelier von Katrin Lingen. Vor zwei Wochen hat die Fotodesignerin gemeinsam mit dem Fotografen Philipp Krug einen Raum im Atelierhaus 19/21 an der Schützenbahn bezogen. „Das ist für uns ideal“, sagt sie. „Die zentrale Lage ist super, und wir können uns jederzeit mit Kollegen austauschen.“
Womit sie den Gedanken des Projekts im Kern trifft. Denn die einzelnen Räume des Atelierhauses, die bereits ausnahmslos von Künstlern belegt sind, wirken wie ein kultureller Katalysator und besitzen den improvisatorischen Charme des Unfertigen – hier scheint noch alles möglich.
Künstler in Essen halten
Das Kulturbüro hatte die Räume in dem leerstehenden Bürogebäude in der nördlichen City zu besonders günstigen Konditionen zur Anmietung für freie Künstler ausgeschrieben – eine Jury hat über die Vergabe der Räume entschieden. Die regionale Anbindung der Künstler war ein wichtiges Kriterium, um eines der begehrten Ateliers zu ergattern. „Wir wollen Folkwang-Absolventen und andere regionale Künstler nach ihren Abschlüssen in Essen halten und sie nicht an andere Städte verlieren“, sagt Kulturdezernent Andreas Bomheuer. „Künstler sollen von ihrer Arbeit auch leben können. Dazu möchten wir einen Beitrag leisten.“
So fügt sich das Atelierhaus in unmittelbarer Nähe zum Unperfekthaus, dem GOP-Varieté-Theater, dem Essener Campus der Uni Duisburg-Essen und dem Forum Kunst und Architektur nahtlos in das Konzept eines Künstlerviertels ein. „Wir möchten der Nordstadt aber nicht plump den Stempel Szeneviertel aufdrücken“, sagt Bernd Fesel, Vize-Direktor von Ecce, dem Zentrum für Kreativwirtschaft in Dortmund. „Kreative Kräfte entwickeln sich ganz von allein. Da muss man nicht werblich mit dem Holzhammer nachhelfen.“
Das Leben ist zurück
Gut zehn Jahre stand das Gebäude nun leer, in dem früher unter anderem eine Geschäftsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbundes und eine TV-Produktionsfirma untergebracht waren – nun kehrt erstmals Leben in das Haus zurück. Die Initiative Freiraum, ein loser Zusammenschluss Essener Künstler, hatte das Haus im Sommer 2010 besetzt, um auf den Mangel an erschwinglichem Raum für Künstler hinzuweisen – ein Armutszeugnis für die ehemalige Kulturhauptstadt.
Der Protest hat offenbar Wirkung gezeigt: Stadtplaner, die Firma Ecce, das Kulturbüro, die städtische Wirtschaftsförderungsgesellschaft (EWG) und das Kunsthaus Essen, das die Trägerschaft für das ehrgeizige Projekt übernommen hat, ziehen nun an einem Strang, um buchstäblich Raum für Kultur zu schaffen. Ein weiterer Schritt, um die Wandlung der Nordstadt vom ungeliebten Sorgenkind zum vielseitigen Kreativviertel weiter voranzutreiben.
Ein bisschen Berlin in Essen
Also eine Art Prenzlauer Berg für Essener Verhältnisse? „So würde ich das nicht beschreiben“, sagt Dieter Flick, bei der EWG zuständig für Standortentwicklung. „Gentrifizierung ist im Ruhrgebiet kein Thema.“ Die Gefahr, dass die Mieten durch steigenden Attraktivitätswert des Nordviertels plötzlich in die Höhe schießen könnten, sei eher unwahrscheinlich.