- Ex-Fraktionschef Willi Nowack glaubt nicht Beteuerungen in der SPD, man habe von Hinz’ Lügen nichts geahnt
- Auch er will von Gerüchten gewusst haben. Offiziell habe aber keiner nachgefragt
- Dass erst jetzt, Jahre später, alles ans Licht kommt, ist kein Zufall. Petra Hinz hatte nicht nur Freunde in der SPD
Essen.
Die renommierte Wochenzeitung „Die Zeit“ prägte in ihrer Internetausgabe bereits einen neuen Begriff: „Hinz deinen Lebenslauf“, heißt es dort sarkastisch. Die „Heute Show“ im ZDF setzte noch einen drauf: Wenn man schon seinen Lebenslauf fälschen möge, dann doch indem man seine Mitgliedschaft in der SPD streicht.
Petra Hinz selbst wird in diesen Tagen nicht zum Lachen zumute sein. Auch ihre Genossen zeigen sich wahlweise schockiert oder tief betroffen – und ahnungslos. Dass Hinz entgegen der eignen Lebenslüge nie das Abitur abgelegt hat und auch nicht über einen Studienabschluss verfügt – das will niemand gewusst haben.
Das hört sich scheinheilig an. Hinz mag ein unauffälliges Leben geführt haben: kleine Wohnung auf der Margarethenhöhe, kleines Auto, bescheidener Lebensstil. Doch in all den Jahren soll sie mit keinem Parteifreund ein Wort über Privates gesprochen haben? Das klingt wenig glaubwürdig. Gewusst haben sie es nicht in der SPD, aber geahnt schon, dass zumindest der Jura-Abschluss frei erfunden war.
„Offiziell nachgefragt hat keiner“
„Es gab immer Zweifel und Gerüchte über die berufliche Qualifikation von Petra Hinz“, sagt Willi Nowack. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der SPD im Rat der Stadt, ein großer Strippenzieher, ist keiner, der für Integrität steht. Wegen Insolvenzverschleppung landete er sogar im Gefängnis. Er ist aber einer, der weiß wie die Dinge so liefen in der Partei und vielleicht immer noch laufen.
Die Gerüchte um Petra Hinz seien vielen der damaligen führenden Genossen bekannt gewesen, sagt Nowack. „Auch ich wusste davon. Offiziell nachgefragt hat keiner.“ Keiner? Dem Vernehmen nach wollte eine Juso-Funktionärin schon in den 1990er Jahren öffentlich machen, dass es Hinz, mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Willi Nowack soll sie in ihrem Aufklärungseifer aber gebremst haben. Darauf angesprochen sagt Nowack heute: „Andere wollten offensiver damit umgehen.“
Warum hielt sich die Führungsriege zurück? Hinter Petra Hinz stand ihr politischer Ziehvater, der damals mächtige Bundestagsabgeordnete Otto Reschke und damit etwas 30 Prozent der Delegierten auf Parteitagen. Daran konnte keiner vorbei, der etwas werden wollte in der SPD. Und wer schon etwas war, der musste sich arrangieren mit Reschke – und mit Petra Hinz.
Mit den Jahren seien die Gerüchte verstummt
Dass Reschke, wie er selbst sagt, so überrascht sei, dass Hinz ihren Parteifreunden mehr als 30 Jahre lang eine Lüge aufgetischt hat, mag Nowack jedenfalls nicht recht glauben: „Petra Hinz gehörte über ihre gesamte politische Zeit zu meinen politischen Gegenspielern“, unterstützt von Reschke und seinen Getreuen. „Von daher wundert es mich, dass ihre persönliche, berufliche Vorgeschichte dort nicht bekannt gewesen sein soll“, zeigt sich Nowack erstaunt. Und geht sogar noch weiter: Was passierte ist, sei wohl kein Einzelfall. „Einige politische Lebensläufe scheinen mir doch arg geschönt.“ Wen er damit meint, sagt Nowack nicht.
Ihre Lebenslüge hielt Petra Hinz aufrecht, auch nachdem sie sich 2005 als Abgeordnete nach Berlin verabschiedete. Da gab es ohne Gesichtsverlust schon kein Zurück mehr. Im Rückblick wundern sie sich in der Essener SPD, wie selbstbewusst Hinz die Mär von der studierten Abgeordneten mit zweitem Jura-Staatsexamen vertreten habe. Und mit den Jahren seien die Gerüchte von damals verstummt.
Im September wäre Hinz erneut als Kandidatin im Essener Süd-Westwahlkreis nominiert worden. Dass die Bombe wenige Wochen vorher platzte, ist wohl kein Zufall. Es dürfte jenen zupass gekommen sein, die noch eine Rechnung mit ihr zu begleichen hatten. Denn sie hat sich nicht nur Freunde gemacht in ihrer Partei. Als stellvertretende Vorsitzende sägte sie 2014 mit am Stuhl von Reinhard Paß, als es darum ging, jemanden in der SPD zu finden, der als Kandidat für die OB-Wahl 2015 anstelle des damals amtierenden, aber in der Partei umstrittenen Oberbürgermeisters antreten würde.
Die damalige SPD-Vorsitzende Britta Altenkamp zauberte die ehemalige Essener Ratsfrau und Bürgermeisterin von Rheine, Angelika Kordfelder, als innerparteiliche Gegenkandidatin aus dem Hut, Altenkamp scheiterte aber beim Mitgliederentscheid. Petra Hinz lavierte, ließ die Parteichefin im Regen stehen, wie alle im damaligen Partei-Vorstand. Sie habe nichts anderes erwartet, sagt Britta Altenkamp ohne dass auf Hinz zu beziehen. So sei das, wenn man in der Verantwortung stehe. Das Verhältnis zur Fronhauserin beschreibt als „ein herzliches Nicht-Verhältnis“.
Hat Altenkamp am Sturz von Hinz mitgedreht? Groll gegen Hinz hege sie nicht. „Der Mensch Petra Hinz tut mir leid“, sagt Altenkamp. Und das klingt ehrlich.