Die Zinsen steigen wieder leicht an. Der Zug in Richtung Null-Prozent-Zins ist vorerst gestoppt. Von einer Kehrtwende mag aber noch niemand sprechen.
Essen.
Spareinlagen ohne Erträge, Kredite, an denen Banken kaum noch etwas verdienen: Geld ist so billig und wirft gleichzeitig so wenig ab wie noch nie. Mitten hinein in die durch die europäische Geldpolitik ausgelöste Zinsflaute ist auf dem Kapitalmarkt überraschend eine leichte Brise aufgefrischt. Marktbeobachter nehmen derzeit mit Staunen zur Kenntnis, dass die Zinsen für deutsche Staatsanleihen sprunghaft gestiegen sind. Von einer echten Zinswende möchte zwar niemand sprechen. Dennoch kommt die Entwicklung für viele unerwartet.
Ein besonderes Augenmerk für die Beurteilung der längerfristigen Zins-Entwicklung legen die Experten auf zehnjährige Bundesanleihen. Mit diesen Papieren besorgt sich der deutsche Staat langfristig frisches Geld auf den Kapitalmärkten. Bundesanleihen waren bei Anlegern in jüngster Vergangenheit derart begehrt, dass Berlin Papiere mit kürzerer Laufzeit sogar mit einem Aufschlag ausgeben konnte. Wer sein Geld in deutsche Staatsanleihen steckte, musste also draufzahlen.
Anleihen auf 0,07 Prozent abgesackt
Eigentlich war erwartet worden, dass dieser paradoxe Trend sich nach der Flutung des europäischen Geldmarktes mit frischem Kapital durch die Europäische Zentralbank (EZB) fortsetzt. Doch das genaue Gegenteil trat ein. Ende April noch lag die Verzinsung der zehnjährigen Anleihen bei nur 0,07 Prozent. Doch innerhalb weniger Wochen verzehnfachte sich der Zinssatz. Gestern notierte das Papier immerhin noch bei 0,61 Prozent. „Diesen Zinssprung hat keiner kommen sehen“, so Stephan Heuser, Chefanalyst der Sparkasse Essen.
Geldmarkt-Analysten wie Heuser vermuten, dass der massive Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB den gesamten Anleihe-Markt durcheinandergewirbelt und private Markteilnehmer abgeschreckt hat. Andere Ökonomen sehen in der höheren Rendite Vorzeichen für eine allmählich steigende Inflationsrate, zu der sinkende Anleihezinsen nicht passen würden.
„Das steht in keinem Lehrbuch“
Was sich derzeit auf den Kapitalmärkten abspielt, scheint jedenfalls üblicher Logik nicht mehr zu gehorchen. Analyst Heuser: „Das, was wir sehen, steht in keinem Lehrbuch.“ Die Auswirkungen der Entwicklung für private Sparer und Kreditnehmer hält Heuser für überschaubar. Allerdings sei der Zug in Richtung Null-Prozent-Zins offenbar gestoppt. Heuser: „Der Geldmarkt wollte wohl wenigstens einmal die Null sehen.“
An einen deutlichen Aufwärtstrend der Zinsen glaubt der Sparkassen-Manager demnach nicht. Heuser rechnet für die kommenden zwei bis drei Jahre mit einem weiter relativ niedrigen Zinsniveau. Prognosen über diesen Zeitraum hinaus zu machen, sei hingegen schwierig. Jedenfalls dürfe sich niemand an ein Zinsniveau nahe Null gewöhnen – weder private noch öffentliche Schuldner.
Sorge vor höherem Haushaltsdefizit
Diesen Rat sollten sich nach Meinung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft auch das Land und viele NRW-Kommunen zu Herzen nehmen. Angesichts steigender Renditen bei Staatsanleihen warnte der NRW-Landesgeschäftsführer des Verbandes, Herbert Schulte, jetzt vor einem wachsenden Haushaltsdefizit in NRW, weil sich die Refinanzierung öffentlicher Schulden schon bald verteuern könne.