Mit dem Nussknacker schloss das TaM in Duisburg die Pforten
Ein Geheimnis kann jetzt gelüftet werden: Die Türen des Theaters am Marientor öffneten sich bis zum 31.12. auf den sinnigen Nummern-Code 3112. Mit dem Jahresende ist der letzte Vorhang gefallen, ist das innen so schmucke Haus geschlossen. Der Code war auch stiller Protest.
Duisburg.
Heute kann man es ja sorglos schreiben: 3112 ist der sinnfällige Nummern-Code, mit dem sich Türen im Theater am Marientor öffnen lassen. Ließen. Denn seit dem 31.12 ist der letzte Vorhang gefallen, der Code, der auch stiller Protest war, gelöscht.
Das Bolschoi Ballett Belarus tanzte noch mal am Freitag über die Bühne: Nussknacker. Leichtfüßige Schritte zum derben Ende. Nussknacker: Für das TaM-Team wahrlich eine harte Nuss. Mit viel Wehmut schloss die Rumpf-Mannschaft die Pforten des Theaters, das mit Les Misérables 1996 das Musical an neuer Spielstätte in die Stadt brachte. Vorbei.
Im Flur-Labyrinth hinter und unter der Bühne hängt mit Galgenhumor platziert Herbert Knebels Affentheater mit dem Programm-Plakat „Der Letzte macht das Licht aus“. Im echten Leben ist das der schmerzliche Job von TaM-Technikchef Christian Karp. Seit zehn Jahren leitet der gelernte Theatermeister das Duisburger Haus: „Das tut schon weh. Hier haben alle mit Herzblut gearbeitet, hat keiner auf die Stunden geschaut“, sagt der 56-Jährige.
Da steht er mitten in den roten Sesselreihen und schwärmt von seinem Theater. Eines des schönsten Häuser weit und breit sei es. Und Karp kennt sie alle. Da ist ist perfekte Technik, die gut ausgestattete Bühne, die per Lkw direkt angefahren werden kann. Da ist vor allem der Saal. Modern zwar, aber auch plüschig, mit den samtenen Sesseln, den seitliche Logen und dem weit hineinragenden Rang. Da lebt Theater, mit einem Schuss Show und Glamour. „Hier gibt’s keine schlechten Plätze“, erklärt Karp. Nur gute. Exakt 1572. Und wohl an die zweieinhalb Millionen Menschen haben auf ihnen seit 1996 gesessen. Gestaunt, gelauscht, gelacht, geklatscht.
Tanz. Shows. Musical. Comedy. Casting. Kaum ein Genre, das nicht die Bühne des TaM eroberte. Und natürlich die Klassik, als die Philharmoniker von 2002 bis 2007 ohne Mercatorhalle im Haus residierten und musizierten. Die Liste der Stars ist lang: Dieter Nuhr präsentierte „Nuhr vom Feinsten“ und sorgte sich beim letzten Auftritt, ob denn nun der Lidl ins Haus einzieht, Tim Mälzer kochte „Auf die Faust“, Nana Mouskouri gab ihre Abschiedstournee, das „Phantom der Oper“ oder der „Geist der Weihnacht“ knüpften an den Musical-Start an, der mit der Pleite so miserabel 1999 endete. Narren schunkelten im Saal, Wirtschaftsprominenz diskutierte auf dem Podium.
Vor allem auch als TV-Bühne hat das TaM seine Geschichte und war bei den Sendern eine angesehene Kamera-Adresse. Pro Sieben castete seine Popstars, Sat 1 produzierte seine Show „You can dance“, nun zum Ende zeichnete RTL II seine Music-Show „The Dome“ am Marientor auf. Eine Bühne nicht nur für die Stars: Die Duisburger Tanztage oder die Aufführungen von Duisburger Tanzschulen, sind für Karp immer wieder Schlüsselerlebnisse. Karp: „Wenn man in die Augen der Kinder schaut, wenn der Saal applaudiert, dann weiß man, wofür man das macht.“
Schlüsselerlebnis der anderen Art
Jetzt hat Karp ein Schlüsselerlebnis der anderen Art. Abschließen. Vor dem Oval des Hauses sind die Plakatflächen leer. Keine weitere Veranstaltung. Der Vorplatz ist verwaist. Über die Hochstraße saust der Verkehr Richtung Autobahn. Die Innenstadt ist so nah und dort so fern, getrennt durch den metallgerippten Overfly. Ein Grund vielleicht, warum das TaM nicht so richtig Teil der Stadt wurde. „Unsere Gäste demonstrieren nicht. Wir haben nie wirklich eine Lobby in der Stadt gehabt“, sagt Karp mit unüberhörbarem Groll.
Sein Chef, Uwe Gerste, der Geschäftsführer der Duisburg Marketing Gesellschaft, die das TaM bespielte, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass auch ihm die Aufgabe des TaM Bauchschmerzen bereitet. Zugleich muss er sich als Geschäftsführer einer städtischen Gesellschaft den Beschlüssen der „Mutter“, sprich des Rates, fügen. Und der hat den Spielschluss zum Endes des Jahres verfügt und den Zuschuss der Stadt von 1,2 Millionen Euro gestrichen. Zugleich soll das Gebäude tunlichst verkauft werden, nach gescheiterten Versuchen nun auch ohne die Vorgabe weiterer kultureller Nutzung. 11.8.1994 ist als Grundstein-Datum im Foyer in Beton gegossen. Nun ist auch der Abriss eine Variante. 18 Jahre, eigentlich kein Alter für ein Theater.
Gerste sagt: „Das TaM ist nie als Kulturobjekt anerkannt worden“. Auch als Marketingmann schmerzt ihn das mögliche Aus des Theaters. Denn das TaM war eine gute Adresse, um für Duisburg zu werben. Ein Imageträger. Defizitär, sicher, aber gewinnbringend. Zumal Karp meint: „Wir sind ganz nah dran an der Wirtschaftlichkeit.“
Hoch subventionierte Hochkultur
Nur knapp teurer in den Zuschüssen als die weit kleinere Rheinhausenhalle sei das TaM. Von Vergleichen mit der hochsubventionierten Hochkultur für Theater, Oper und Philharmoniker gar nicht zu sprechen. „Aber leider hat das Theater nie das Herz der lokal Verantwortlichen gewinnen können. Es wurde eher als Problem und Lückenbüßer denn als Chance für Duisburg gesehen“, erklärte Gerste jüngst in einem Interview.
Die politische Distanz ist allerdings nicht ganz überraschend. Das Marientor-Theater erwies sich für die Stadt, die sich mit einem Musical schmücken wollte, als teures Abenteuer. Für den Bau übernahm sie eine Bürgschaft von 18 Mio Euro, lastet eine Grundschuld von 24 Mio auf der Grundbucheintragung. Nach der Stella-Pleite 1999 zahlte Duisburg doppelt drauf, musste mit 18 Millionen Euro Zahlungsverpflichtungen begleichen und hat seitdem die jährlichen Zuschüsse am Bein, weil sich die Theater-Ellipse schon damals nicht verkaufen ließ und der städtische Gebag-Ableger Duisburger Bau- und Verwaltungsgesellschaft DBV die Immobilie übernehmen musste.
Ungeahnte Zuversicht
Und jetzt, nachdem Christian Karp den eisernen Vorhang letztmals hochfuhr, Türen schloss, Codes änderte und sich das TaM-Team in melancholischer Runde in der Theater-Kantine verabschiedete?
Der neue Gebag-Chef Utz Brömmekamp, der nicht nur bei der städtischen Wohnungsbautochter aufräumen soll, sondern auch beim Schwesterunternehmen DBV, strahlt ungeahnte Zuversicht aus, für das TaM doch noch einen Betreiber zu finden. Vielleicht mit dem noch nicht geschriebenen Musical „Phönix aus der Asche“?