Hilfsorganisationen buhlen mit zweifelhaften Methoden
Tagtäglich buhlen Werber von Dialog-Agenturen im Auftrag von Hilfsorganisationen wie „World Wide Fund For Nature“, „Save the Children“ oder World Vision in der Stadt um die Gunst der Passanten und um ihr Geld. Oft mit zweifelhaften Methoden.
Essen.
Im Auftrag von WWF, Unicef, World Vision, Save the Children sowie vieler anderer Hilfsorganisationen sind Tag für Tag Werber in der Stadt unterwegs, versuchen etwa auf der Kettwiger Straße Paten für Menschen oder Tiere in Not zu gewinnen – Essener, die dauerhaft gute Zwecke unterstützen wollen. Stets haben sie Bilder parat, die Kinder in Krisen- und Kriegsgebieten zeigen, manchmal auch Tiere in abgeholzten Regenwäldern. Und dazu eine herzergreifende Geschichte: „Seit Jahren habe ich selbst mehrere Patenkinder,… die Situation in Asien und Afrika ist schwierig,… ich kann nicht anders, als zu helfen“, heißt es, wenn sie Passanten erst einmal dazu überredet haben, mit an ihren Stand zu kommen.
Oft schaffen sie dies, indem sie die Menschen anrempeln, sich vor sie stellen und bedrängen. Gestattet ist aggressives Vorgehen wie dieses seitens der Stadt nicht. Und trotzdem geht sie nur selten gegen die Werber vor, die mit den Hilfsorganisationen oft gar nichts zu tun haben. Sie kommen von Dialog-Agenturen und kassieren für jeden gewonnenen Paten und Dauerspender Provision.
Bis zu zehn Abmahnungen pro Jahr
Vergangenes Jahr wurden in der Stadt 214 Infostände genehmigt – von Hilfsorganisationen, Firmen und Parteien. Dieses Jahr sind’s bisher 160. Im Schnitt fünf bis zehn Abmahnungen wegen Fehlverhaltens versendet die Stadt jährlich – nach eigenen Feststellungen oder Beschwerden von Bürgern. Hält sich der Standbetreiber nicht an die Auflagen, muss er mit einem Bußgeld rechnen. Und damit, dass er keine erneute Erlaubnis bekommt. Bislang hat die Kommune Genehmigungen aufgrund wiederholter Verstöße zeitlich befristet ausgesetzt. „In diesem Jahr gab es bisher noch keine einzige Abmahnung“, heißt es aus dem Presse- und Kommunikationsamt der Stadt.
Erst kürzlich war auf der Kettwiger Straße erneut die bekannte Szenerie zu beobachten: Werber im Auftrag von World Vision, ein Hilfswerk, das sich mit Kinderpatenschaften für die Bekämpfung von Hunger, Not und Elend in benachteiligten Ländern einsetzt, buhlen um Paten. Zu mehreren bilden sie eine Kette, „fangen“ Passanten ein und versuchen ihnen, ein Spenden-Abo schmackhaft zu machen.
Monatliche Spende wichtig
Begeistert sprechen sie von ihren eigenen Patenkindern, der schwierigen Situation in Afrika und Asien und dass es wichtig sei, monatlich zu spenden. Passende Anträge dafür haben sie natürlich dabei. Und helfen beim Ausfüllen. Auf die Frage, ob sie nicht eine Bankverbindung parat haben, um der Hilfsorganisation einmalige Geld zukommen zu lassen, werden sie patzig. An „solchen Spenden“ sei man nicht interessiert, heißt es: „Das bringt uns nichts.“ Denn die jungen Werber werden, wie sich später herausstellt, pro Abschluss bezahlt.
Wie der Direktvermarkter „DialogDirect“ reagiert
Laut ihrem Auftraggeber, der Berliner „Dialogdirect GmbH“, bekommen sie – neben einem Mindestverdienst von 1400 Euro für vier Wochen – Reisespesen für Quartiere und Fahrzeuge. Und Provision: „Zusätzlich zu dem jeweiligen Sockelbetrag erhalten die Mitarbeiter selbstverständlich leistungsorientierte Prämien“, sagt Patty Traue von
Dialogdirect. Die Werber würden regelmäßig geschult und wüssten, was sie zu beachten haben. Traue: „Wir bemühen uns stets und ständig Qualitätsstandards im Fundraising umzusetzen. Das Zugehen auf Passanten in Gruppen ist nicht von uns beabsichtigt. Zur Genehmigung können wir sagen, dass wir in Kontakt zu den Ordnungsämtern der Städte, in denen wir arbeiten, stehen.“ Manchmal seien die Genehmigung formal derart, wie beschrieben, „aber in Absprache mit dem Ordnungsamt können wir dort arbeiten, zumal die Ämter vor Ort kontrollieren, ob das Verhalten der Werber in Ordnung ist.“ Weiter: „Auftrag aller Kunden ist es, dauerhafte Fördermitgliedschaften zu gewinnen. Einmalspenden sind vom Grundsatz her nicht vorgesehen und Bargeldspenden am Stand sind generell verboten. Der Werber hätte dennoch den Hinweis auf die Homepage geben müssen.“
Dirk Bathe, Medienreferent beim deutschen Ableger von „World Vision“ entschuldigt das Vorgehen der Werber: „Das geschilderte Verhalten des Promoterteams wird weder von uns noch von der Agentur toleriert. Das Team, das am Stand gearbeitet hat, wird deshalb intensiv nachgeschult.“ Natürlich sei man froh über Einmalspenden, bei denen etwa Einsätze in Katastrophengebieten wie in Haiti, Pakistan oder Japan finanziert würden. Dass die Werber auf Rückfrage kein Konto für Spenden genannt haben, „ist klar ein Fehler des Promoterteams und wird Bestandteil der Nachschulung sein“. Bargeldspenden dürften hingegen unter keinen Umständen am Stand angenommen werden.
Was Werber am Infostand alles beachten müssen
Das Amt für Straßen und Verkehr erteilt die „Sondernutzungserlaubnis zur Einrichtung eines Informationsstandes“. Im Bescheid wird deutlich gemacht, was erlaubt ist und was nicht: Vier Mitarbeiter für einen Infostand seien ausreichend, Zweck das Verteilen von Unterlagen. Der Verkauf von Waren ist nicht gestattet. Im Wortlaut heißt es weiter: „Ein ,Einfangen’ von Passanten in der Fußgängerzone ist nicht gestattet. Mitgliederwerbung ist in Essen nicht erlaubt!“ Die Darbietung und Verteilung der Infos habe in einer Weise zu erfolgen, dass Störungen oder vermeidbare Belästigungen Dritter vermieden werden. Aggressives Einwirken auf Passanten oder eine Behinderung des Fußgängerverkehrs sei unzulässig. Die straßen-und wegerechtliche Erlaubnis für einen Informationsstand beinhaltet keine Überprüfung der korrekten Verwendung von Spendengeldern. Rechtsgrundlagen sind die „Satzung über Erlaubnisse und Gebühren für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen“ der Stadt Essen sowie das „Straßen- und Wegegesetz“ des Landes.