Wer bei der Buchhandlung Thalia auf der Kettwiger Straße in Essen Bücher kaufte, der kaufte sie irgendwie immer noch bei Baedeker. Seit der Einweihung des Baedeker-Hauses vor 84 Jahren war hier nie etwas anderes als eine Buchhandlung. Am 15. Oktober ist Schluss damit. Die Quadratmeter-Filiale schließt. Die Begründung hat viele Seiten.
Essen.
Hüben der Burgplatz und drüben dieses Haus: großquadriger Muschelkalk und Enseling-Skulpturen an der Fassade – eine Immobilie anno 1926 zum Hingucken, weil sie nicht so glatt daherkommt, wie fast alle Innenstadt-Bauten nach ihr. Früher stand hier die „Von Harrach’sche Kurie“, ein Wohnhaus Essener Stiftsdamen, das ein gewisser Gottschalk Dietrich Baedeker 1817 erwarb, um dort die Buchhandlung seiner Familie fortzuführen. Fünf Jahre hätte es also noch gebraucht, und an exakt diesem Standort könnte Essen zwei Jahrhunderte Buchhandel feiern. Doch da ist diese dürre Mitteilung aus Hagen, in der die Thalia-Buchkette gestern Nachmittag verkündete, was manchem längst schwante: Die Filiale an der Kettwiger wird zum 15. Oktober dicht gemacht.
Man wird Mirjam Berle abnehmen müssen, dass auch sie hat schlucken müssen, als sie die Meldung gestern in alle Welt schickte. Denn Buchhändler sind, egal ob im kleinen handsortierten Ladenlokal oder bei den riesigen Buchkaufhäusern im Prinzip erst mal Verbündete des gedruckten Wortes, und eine fast 200-jährige Historie wirft man nicht mal so eben weg.
Warum das Aus für Baedeker?
Warum dann dieses Aus für Baedeker, wo zuletzt noch Thalia draufstand? Es gibt da, versichert Pressesprecherin Berle, nicht diesen einen Grund. Es liegt nicht am Einkaufszentrum Limbecker Platz und der sinkenden Kundenfrequenz auf der Kettwiger, es liegt auch nicht daran, dass seit ein paar Jahren die Mayersche Buchhandlung dem Platzhirschen wenige Meter weiter Konkurrenz macht, es sind nicht die Internet-Bestellungen bei Amazon und Co. schuld daran und auch nicht der sich andeutende Siegeszug der E-Reader, jener kleinen digitalen Lesegeräte, die zig Bücher speichern und nur das Rascheln beim Umblättern nicht hinbekommen.
Vermutlich, sagt Thalia-Sprecherin Berle, ist es aber all das zusammen, das am letzten Kapitel der Buchhandlung Baedeker mitgeschrieben hat. Rund 2000 Quadratmeter Buchhandelsfläche, das erwies sich zumindest für diesen Standort einfach als zu viel, um auskömmliche Erträge zu erwirtschaften. Wie groß das Minus in diesen Tagen ausfällt, wie hoch der Umsatz, darüber kein Wort: „Diese Zahlen geben wir nicht raus.“
Ein Trend ist unverkennbar
Aber es kommt eben auf den jeweiligen Standort an: „Wir haben Häuser mit 4000 Quadratmetern Fläche, die laufen super“, sagt Berle mit Blick auf Thalia in Nürnberg – und es gibt Läden mit einem Zehntel der Fläche, die krebsen vor sich hin. Immerhin, ein Trend ist unverkennbar: Die durchschnittliche Ladengröße – bislang bei 850 Quadratmetern – wird sich um 200 auf 650 Quadratmeter verringern.
Ob man diese Entwicklung nicht hätte vorausahnen können, 2007, als man die Buchhandlung Baedeker (die von Buch & Kunst weitergereicht wurde) übernahm? „Wer behauptet, er hätte diese rasante Entwicklung vor fünf Jahren vorausgesehen, der lügt“, sagt Mirjam Berle da. „Sonst hätten wir andernorts manche Fläche doch gar nicht aufgemacht.“
Nicht ganz aus Essen zurückziehen
Immerhin, Thalia will sich ja auch nicht ganz aus Essen zurückziehen: Die Filialen im Einkaufszentrum am Limbecker Platz, im Altenessener Allee-Center und an der Rüttenscheider Straße sollen erhalten bleiben. Entweder hier oder an anderen Standorten der Kette sollen auch die 20 Mitarbeiter aus der Kettwiger Straße unterkommen. Das ist schön für die um ihren Job bangenden Beschäftigten, ändert aber wohl nichts am absehbaren Abschied von einer Jahrhunderte langen Tradition gegenüber dem Burgplatz.
Immerhin der Name Baedekerhaus wird nicht vollends verschwinden, die Immobilie ist denkmalgeschützt seit 25 Jahren.